NatureLife fordert Mindestlohn für Obstwiesenbewirtschafter

Landschaftspflege ist Aufwand und diese sollte von der Gesellschaft auch dementsprechend honoriert werden.


Stiftungspräsident C.-P. Hutter: „Für drei Euro pro Stunde geht doch heute niemand mehr raus“

Stuttgart: „Wir brauchen einen gesellschaftlichen Mindestlohn für die Obstwiesenbewirtschafter. Sie sind die Helden der Landschaft, werden aber von Politik und Gesellschaft total vernachlässigt“, so Claus-Peter Hutter, Präsident der Umweltstiftung NatureLife-International (NLI). Die Obstkampagne sei voll im Laufen, die „Stückles-Bewirtschafter“ schuften und erhalten vielgestaltige Landschaft, aber sie finden fast kaum Anerkennung, heißt es in einer Presseinformation von NatureLife. Seit der Corona-Pandemie würden immer mehr Menschen Erholung in der freien Landschaft suchen; doch viele hätten keine Ahnung und keinen Respekt vor der Arbeit, die eine immer älter werdende Minderheit erbringe. „Während viele Leute joggen, Radfahren oder Spazieren gehen und in die Fitness-Studios gehen, vergammelt immer mehr Obst auf Omas und Opas Obstwiese“, beklagt C.-P. Hutter.

Dabei geht es jetzt wieder rund auf den Obstwiesen im Land. Rote, gelbe, braune und grüne Äpfel kullern – jetzt vollreif und nach dem regenreichen Sommer besonders saftig – zu Boden. Was nicht als Tafelobst von den alten, hochstämmigen Obstbäumen gepflückt wird, verarbeiten die Obstwiesenbewirtschafter traditionell zu Apfelsaft oder Destillaten. Was nicht für den eigenen Bedarf benötigt wird, wird an Obstannahmestellen abgegeben.

Für einen Doppelzentner – also 100 Kilo – gibt’s zur Zeit bei den Obstannahmestellen 8 bis 9 Euro. „Auch wenn man’s laufen lässt, werden dafür mit Anfahrt und Ablieferung rund zweieinhalb bis drei Stunden benötigt. Das macht drei Euro die Stunde, die Pflege der Obstwiese durch Mähen, Bäume scheiden, Reisig abfahren, Geräteeinsatz und Tanken nicht eingerechnet. Wer geht für drei Euro die Stunde in unserer Wohlstandsgesellschaft noch aus dem Haus“, beschreibt Hutter die Situation.

Obstwiesen mit ihren hochstämmigen Bäumen seien deshalb zu Sorgenkindern geworden, weil viele Bestände nicht mehr gepflegt werden und zahlreiche Obstwiesen infolge von Baulandumlegungen und Straßenbauten verschwunden sind.

Deshalb fordert NatureLife Präsident Claus-Peter Hutter nun den Mindestlohn auch für Obstwiesenbesitzer. „Es reicht nicht, wenn man die Besitzer der Obstwiesen – allein in Baden-Württemberg gibt es immerhin noch annähernd neun Millionen hochstämmige Obstbäume – mit dem Hinweis auf Grünspecht und Gartenrotschwanz auffordert, Omas und Opas Wiesen zu pflegen. Landschaftspflege ist Aufwand und diese sollte von der Gesellschaft auch dementsprechend honoriert werden. „Das Engagement aller, die sich für die Bewahrung von Obstwiesen einsetzen und diese pflegen und erhalten, könne nicht hoch genug eingeschätzt werden“, so Hutter. „Doch warme Worte und Dank alleine reicht nicht. Unsere Gesellschaft muss bereit sein, Landschaftsunterhalt zu honorieren mit mindestens 12 Euro die Stunde, obwohl die Arbeit und das Ergebnis ein Vielfaches wert sind.“ Die Obstannahmestellen können das auch nicht stemmen, weil sonst Billig-Importe aus Übersee auf den Markt drängen. NatureLife-Präsident C.-P. Hutter: „Alle reden von Nachhaltigkeit, aber schon bald könnten die leckeren Säfte von den heimischen Obstwiesen Mangelware werden.“ In der Regel, so NatureLife entsprechen die Früchte der Obstwiesen Bioqualität, auch wenn sie nicht zertifiziert seien. Für viele Grundstücksbesitzer mache eine teure Zertifizierung keinen Sinn, wenn der von Jahr zu Jahr schwankende Ertrag weniger einbringe als die Zertifizierungskosten.

Landschaftselemente wie Obstwiesen, die durch Nutzung entstanden sind, könnten deshalb nur durch weitere Nutzung bewahrt werden und damit auch künftig für eine mannigfaltige Pflanzen- und Tierwelt zur Verfügung stehen. Dafür brauche es jedoch die richtigen Anreize, so NatureLife. Der Mindestlohn, so NatureLife, wäre solch ein Anreiz, denn bislang gelte Obstwiesenpflege vor allem als unentgeltliches Hobby, das jedoch mit Auflagen etwa der verpflichtenden Unfallversicherung bei der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) verbunden sei. Hinzu kommen nach Aussage von NatureLife bei der Destillatverwertung hohe Kosten für Branntweinsteuer. NatureLife Präsident Hutter fordert die Abschaffung für Kleinerzeuger: „Hier kann die öffentliche Hand Anreize schaffen, die Wertschätzung für die Werte der Landschaft schaffen. Lob der Politik bei Obstblütenfesten, die alle lieben, vergeht so schnell wie die Obstbaumblüte“.

„Landschaftserhalt kann schönes Hobby sein, aber es geht um mehr als den puren Zeitvertreib. Natur bewahren heißt Lebensgrundlage sichern und ist damit gesamtgesellschaftliche Pflicht“, betont NatureLife. „Wenn die öffentliche Hand all die Obstwiesen, die alle lieben, selbst bewirtschaften müsste, wäre dies für die Gesellschaft unbezahlbar“, so Hutter.

Daneben setzt sich NatureLife für einen Imagewandel bei der Obstwiesenbewirtschaftung ein. Es gelte, das Wissen über die ökologische und historische Bedeutung solcher Refugien und deren fachgerechte Pflege stärker an jüngere Menschen zu vermitteln. „Wer als Kind das Jahr über mit auf die Obstwiese genommen wird, leidet nicht an Bewegungsmangel und lernt automatisch die Vielfalt der Natur kennen.